UNE VRAIE COMÉDIE
EINE WAHRE KOMÖDIE
Die Krönung des neuen britischen Königs Charles III. mutete mit ihren Ritualen, den verwendeten Kleidungsstücken und dem zur Schau gestellten Reichtum altertümlich an.
Kein Wunder - Krönungen bedeuten auch Legitimitation und Tradition.
Selbst im 18. Jahrhundert wirkten Krönungen wie aus einer anderen, noch früheren Zeit - wie die Krönung von Joseph II. im Jahr 1764.
Erst letztes Wochenende wurde Charles III. als neuer britischer König gekrönt. Nach der langen 70jährigen Regierungszeit seiner Mutter, Königin Elizabeth, mit der sie sogar Kaiser Franz Joseph mit seinen 68 Jahren überholte, war es die erste Krönungszeremonie seit 1953. In Europa gibt es nur noch in Großbritannien Krönungen, bei denen die Monarchen tatsächlich noch gesalbt und gekrönt werden und so wirkten die Feierlichkeiten wie ein aus der Zeit gefallenes Spektakel.
Ähnlich dürfte auch die Krönung von Joseph II. zum König des Heiligen Römischen Reiches im Jahr 1764 auf viele der Zeitgenossen gewirkt haben.
Am 21. März trafen die Kurfürsten in der Krönungsstadt Frankfurt ein und zogen unter Kanonensalven ein.
Der damals 15jährige Goethe, der als Frankfurter die Feierlichkeiten verfolgen konnte, schrieb: „Bisher war alles noch ziemlich modern hergegangen: die höchsten und hohen Personen bewegten sich nur in Kutschen hin und wider; nun aber sollten wir sie, nach uralter Weise zu Pferde sehen.“ Die Kurfürsten waren in goldene Gewänder gehüllt und trugen Mäntel aus Hermelin und dürften mit ihrem Tross ein Spektakel geliefert haben, wie man es lange nicht mehr in Frankfurt gesehen hatte.
Nach der eigentlichen Wahlzeremonie, die hinter verschlossenen Türen im Allerheiligsten des Domes unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, konnte dann endlich Joseph in die Stadt kommen.
Dem Festzug voran ritt der Frankfurter Stallmeister mit Paukern und Trompetern und drei berittenen Kompanien der Bürgerkavallerie, danach die geistlichen Kurfürsten, die mit ihrem Fuhrpark Eindruck machten: Die drei Kurfürsten aus Köln, Trier und und Mainz brachten jeweils 20 Staatswagen mit. Dann kamen Joseph und sein Vater Franz Stephan. Und übertrafen das prächtige Aufgebot der Kurfürsten spielend. Unter anderem fuhren 16 sechsspännige Galawagen mit ihnen ein.
Die Krönung fand am 16. April statt. Eine Prozession bewegte sich auf den Dom zu. Die weltlichen Kurfürsten ritten mit den Reichskleinodien, also Reichsschwert und Reichsapfel, Szepter und Reichskrone, mit. Ihnen folgte der König unter einem Baldachin, danach sein Hofstaat und viele Würdenträger. Die geistlichen Kurfürsten empfingen sie vor dem Dom und nach dem feierlichen Einzug begann die Messe.
Bei der Salbung entkleidete man den König. Sein Untergewand hatte an strategischen Punkten Schlitze, durch die der Erzbischof den König salben konnte und durch die das Öl anschließend mit Baumwolle und Roggenbrot getrocknet wurde.
Der nächste Teil der Krönung fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt: In der Wahlkapelle wurde der König mit dem Krönungsornat eingekleidet, danach bekam er, wieder zurück im Chor, die restlichen Reichsinsignien überreicht. Man gürtete ihm das Reichsschwert um, er zog Handschuhe an und steckte sich den kaiserlichen Ring an den Finger. Er nahm Reichsapfel und Szepter und wurde schlussendlich mit der Kaiserkrone gekrönt.
Der König zog nun ins Rathaus der Stadt, den sogenannten "Römer" weiter. Es folgte die Balkonszene: Kaiser und König zeigten sich dem Volk und winkten in die Menge. Am Platz vor dem Römer gingen nun die Kurfürsten ihren traditionellen „Erbämtern“ nach. Der Erzkämmerer ritt zu einem dort aufgestellten Tisch und holte von diesem ein silbernes Handwaschbecken. Erztruchsess und Erzmundschenk kümmerten sich um das leibliche Wohl des Kaisers und brachten ein Stück gebratenen Ochsen und einen Becher mit Wein. Eine Küche für das Braten des Ochsen und einen Brunnen, aus dem Rot- und Weißwein sprudelten, hatte man vorm Rathaus aufgebaut. Der Erbmarschall kümmerte sich um das leibliche Wohl des kaiserlichen Pferdes und brachte Hafer von einem aufgeschütteten Getreideberg. Der Erzschatzmeister verteilte Geld unter den Frankfurter Bürgern.
All das kam den anwesenden Menschen wie ein Spektakel aus einer anderen Zeit vor – immerhin griff man auf zum Teil mittelalterliche Rituale und Zeremonien zurück und zeigte ebenso alte Gegenstände, die die Macht und Legitimation des Kaiserreichs verdeutlichen sollten.
Joseph II. selbst war nicht angetan von der Zeremonie: Der junge, moderne Monarch hielt nicht viel von der Krönung. Immer noch trauerte er um die große Liebe seines Lebens, Isabella, die erst ein Jahr vorher verstorben war und mit den Ritualen der Vergangenheit konnte er sich nicht anfreunden. Krönungsornat und Krone waren ihm zu groß, und das ganze Spektakel kam ihm lächerlich vor.
„Der junge König schleppte sich in den ungeheuren Gewandstücken mit den Kleinodien Karls des Großen, wie in einer Verkleidung, einher, so daß er selbst, von Zeit zu Zeit seinen Vater ansehend, sich des Lächelns nicht enthalten konnte. Die Krone, welche man sehr hatte füttern müssen, stand wie ein übergreifendes Dach vom Kopf ab.“, schreibt Goethe.
Und Joseph II. selbst beschrieb es in einem Brief an seine Mutter folgendermaßen: „une vraie comédie“. Eine wahre Komödie also.